Ein Weg voller Veränderungen
Nach dem heutigen Stand unseres Wissens erscheint es ausgeschlossen, dass die Praxis von Asana in Indien über die letzten Jahrhunderte hinweg in einer ununterbrochenen Traditionskette unverändert weitergereicht wurde. Zu sehr wandelten sich im Laufe der Zeit die Konzepte, die dem Asanaüben zugrunde lagen. Zu groß waren die Brüche, denen der Umgang mit Asana unterworfen war. Heute lassen sich drei wesentliche Meilensteine in der Geschichte der Praxis von Asana erkennen.
Der erste steht für die Entstehungszeit des Yoga Sütra vor etwa 1700 Jahren: Yoga wird hier zum ersten Mal als eigenständige Disziplin vorgestellt, die auch die Praxis von Asana einschließt.
Der zweite markiert die Zeit des Hatha Yoga, der vor etwa 600 Jahren seine größte Blüte erlebte. Die Asanapraxis entwickelte sich dabei zu einer noch nicht dagewesenen Vielfalt.
Der dritte Meilenstein ist die Entstehung der modernen Asanapraxis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dabei wird eines deutlich: Sowohl in den Zeiten des Hatha Yoga als auch während der Wiederbelebung des Yoga vor fast hundert Jahren ging es um sehr viel mehr als um das bloße Auffrischen alter Traditionen. Vielmehr wurde zu diesen Wendezeiten Yogapraxis radikal erneuert und zum Teil auch neu erfunden.
»Die historische Forschung« schreibt die indische Wissenschaftlerin Meera Nanda, zeige, dass sich zur Zeit des Hatha Yoga »Taoismus, Buddhismus und tantrischer Sivaismus gegenseitig beeinflusst haben. Aber diese Synthese aus Taoismus, Buddhismus und Sivaismus war nur der Anfang. In der modernen Zeit hat der Hatha Yoga noch viel mehr Einflüsse aufgenommen, dieses Mal allerdings aus dem Westen.«
Aus dem Westen? Ja, auch aus dem Westen. Die Geschichte der modernen Asanapraxis ist offensichtlich die Geschichte einer grundlegenden Innovation, in der unterschiedliche Traditionen - darunter auch damals in Indien sehr einflussreiche westliche Körperdisziplinen - zu etwas Neuem verbunden wurden. Eine der wichtigsten Persönlichkeiten in diesem Entstehungsprozess der modernen Äsanapraxis war ohne Zweifel T. Krishnamacharya.